Donnerstag, 29. August 2013

Harald Martenstein - Das müsst ihr gelesen haben!

Manchmal sprechen zerstrubbelte Menschen mich an und fragen: "Haste mal ein bisschen Kleingeld?" Dann erzählen sie ihre Geschichte. Wenn die Geschichte gut ist, gebe ich immer etwas.


Ich musste zu einer Untersuchung. Sie haben radioaktive Flüssigkeit in mich hineingespritzt. Danach musste ich in die Krankenhauskantine und sollte möglichst viel, möglichst fettig essen, das ist gut für die Radioaktivität. Anschließend wurde ich in eine Röhre gestopft. Das dauerte Stunden. Das Krankenhaus ist riesig, viele Häuser, wie eine Stadt. Ich ging zum Parkhaus. Mein Auto sprang nicht an. Offenbar hatte ich vergessen, das Licht auszuschalten. Ich holte das Handy aus der Tasche. Mein Handy sprang ebenfalls nicht an. Offenbar hatte ich vergessen, das Handy aufzuladen. Ich war so sauer auf mich, wie ich nur selten auf einen Menschen sauer gewesen bin.

Ich habe den Pförtner gefragt, ob ich mal telefonieren darf. Der Pförtner sagte: Nein. Es gebe in der Haupthalle einen öffentlichen Münzfernsprecher. So hat er sich ausgedrückt. Das Telefon funktionierte auch mit Kreditkarten. Immer wenn ich die ADAC-Nummer eingegeben habe, meldete sich eine Stimme auf Englisch. Sie sagte: "Please wait for the international operator." Operator? Vielleicht, weil es ein Krankenhaus ist. Der Operator aber meldete sich nie. Ich wollte es mit Kleingeld versuchen. Aber ich hatte nur einen 50-Euro-Schein. Ich ging zum Wechseln zum Kiosk. Ich habe die billigste Zeitung gekauft, den Kurier. Der Kioskmann sagte, nee, für den Kurier nehme ich doch keinen 50-Euro-Schein. Da habe ich Säfte gekauft für 8 Euro. Aber das Telefon weigerte sich, mich mit dem ADAC zu verbinden, es machte immer nur tut, tut, tut. Mit Telefonzellen kenne ich mich auch gar nicht mehr aus. Aber ich erreichte meinen Sohn. Mein Sohn rief beim ADAC an. Er sagte, dass ich eine Panne habe und dass ich in einem Parkhaus stehe. Die Frau vom ADAC antwortete, dass mein Sohn mich anrufen soll, ich solle mich vor das Parkhaus stellen, der Pannenhelfer würde nicht in dem Parkhaus nach mir suchen. Eigentlich verständlich. Mein Sohn antwortete, dass er mich im Moment leider nicht anrufen kann, aber da hatte die Frau schon aufgelegt.
In dem Parkhaus wurde es langsam Abend. Bald würden sie schließen. Ich bin umhergelaufen und habe Säfte getrunken. Das war ganz schön dumm von mir, wenn ich schlau gewesen wäre, hätte ich mit meinen Säften vorm Parkhaus gestanden. Dann fiel mir ein, dass ich ein Taxi anhalten könnte. Draußen. Drei Taxifahrer sagten, dass sie so was nicht machen, Anspringhilfe. Ich soll den ADAC rufen, sagten sie. Ich bin zu dem großen Taxistand im Wedding gelaufen und habe mir den Taxifahrer ausgesucht, der am nettesten aussah. Für 30 Euro ist er in das Parkhaus gefahren, und das Auto sprang, mithilfe zweier Stromkabel, wieder an.

Als ich aus dem Parkhaus hinausfahren wollte, merkte ich, dass meine Parkkarte nicht mehr gültig war, ich hatte bezahlt, klar, aber das war Stunden her. Ich konnte den Motor aber nicht ausschalten, dann wäre das Auto wieder nicht angesprungen. Ich habe das Auto mit laufendem Motor und steckendem Zündschlüssel stehen lassen und habe zu Fuß einen Bezahlautomaten gesucht. Vor dem Automaten stelle ich fest, dass mein Kleingeld wieder nicht reichte, alles war fürs Telefonieren draufgegangen. Ich habe einen Mann angesprochen und habe meine Geschichte erzählt. Ich sah sehr zerstrubbelt aus. Der Mann sagte: "Die Geschichte klingt gut." Dann hat er für mich das Parkhaus bezahlt.


QUELLE

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